Die Wichtigkeit von Aftercare ist kaum zu überschätzen. Dennoch, oder vielleicht deswegen, begegnet mir öfters mal eine überladene Erwartungshaltung, was Aftercare können muss. Doch bevor ich zu meinem Plädoyer für Aftercare zwischen Tür und Angel komme, schauen wir uns an, worum es bei Aftercare eigentlich geht.
Wir Kinksters bezeichnen mit Aftercare die absichtsvoll gestaltete Zeit nach dem Spiel. Eine Zeit des Runterkommens, des sich wieder auf Augenhöhe Begegnens. BDSM gibt uns die Möglichkeit, unsere Intimität in einer Intensität zu erleben, die weit über konventionelle Normen hinausgeht. Im eigentlichen Kern dreht sich BDSM um Vertrauen, Konsens und eine tiefe Art der Begegnung, die in ihrer Dynamik soziale Normen überschreitet. Jede:r von uns kennt das, wie bewegend eine schöne Session sein kann. Salopp gesagt: «Das macht was mit einem». «Nach dem Spiel» ist zwar «vor dem Spiel», aber «nach dem Spiel» ist meist auch «vor dem Alltag». Und im Alltag herrschen wieder die sozialen Normen und meist weniger Vertrauen und Konsens. Um diese zwei unterschiedlichen Welten bestmöglich zu verknüpfen und auch voneinander abzugrenzen, gibt es die Aftercare. Aftercare gibt uns nicht nur einen Raum, uns um unser Gegenüber zu kümmern, sondern auch um uns selbst.
Aftercare erfüllt mehrere Aufgaben:
Diese fünf Aufgaben sind das «Was» der Aftercare. Wir gestalten diese Zeit mit Absicht, weil es ein (mindestens) doppeltes «wie» gibt. Wie möchte mein Gegenüber die Aftercare gestalten und wie ich? Die Bedürfnisse können ganz unterschiedlich sein: Der eine braucht vielleicht viel Nähe, die andere viel Raum für sich. Deswegen lohnt es sich, bereits vor dem Spiel die Bedürfnisse voneinander abzuholen und bei grossen Unterschieden, wie bspw. Nähe und Raum für sich, gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, wie das zusammen geht. Beispielsweise «Passt das für dich, wenn ich zuerst für mich ein bisschen meditiere um runter zu fahren und dann komme ich dich streicheln?».
Aftercare ist eine Zeit, ein Raum des Übergangs. Wir gehen aus dem Spiel raus, aber sind noch nicht zurück im Alltag. Dem Spiel geben wir meistens mehr Zeit, als der Aftercare. Dem Alltag sowieso. Wenn wir uns das räumlich vorstellen, ist der Ort des Spiels vermutlich ein ziemlich aufregender, wilder Raum – und der Alltag vielleicht eher ein etwas monotoner, riesiger Raum. Zwischen dem einen und dem anderen Raum ist nichts als eine Tür. Und genau dort, dieses Dazwischen, dieser Ort zwischen Tür und Angel, breit wie eine Türschwelle, das ist die Aftercare. Klingt vielleicht nicht so gut, wenn der nur so dünn wie ein Stück Pappe ist. Einen eigenen, grossen Raum daraus zu machen klingt luxuriös, aber ist allenfalls viel verlangt, nach dem wilden Spielzimmer durch eine riesige Wandelhalle gehen zu müssen, um im Alltag wieder anzukommen. Die Aufgabe dieses Zwischenraums ist es nicht, und damit komme ich auf die eingangs erwähnten «überladenen Erwartungen» zurück, das Spiel restlos abzufangen, abzuwaschen und so gut wie Ungeschehen zu machen. In diesem Moment nach dem Verlassen des Spiels und vor dem Betreten des Alltags ist der Körper noch so aufgepumpt mit Hormonen, da kann und muss gar nicht so viel geleistet werden. Die fünf Aufgaben der Aftercare sind nicht dazu da, alles restlos aufzuarbeiten – weder restlos rehydriert, noch restlos alles durchgesprochen. Es ergibt sehr viel Sinn, auch Stunden danach noch gut auf den Körper zu hören und was er braucht, und ein paar Tage später sich nochmals über das gemeinsame Spielen zu unterhalten. Wenn einem erst tags drauf auffällt, wo es noch zwackt am Körper, heisst das nicht, dass die Aftercare versagt hat.
Wie bei so vielem, ist auch bei Aftercare Kommunikation zentral. Das Anbringen der eigenen Bedürfnisse, das Wertschätzen des Gegenübers, das Hinhören was man gerade braucht, das erfordert viel Ehrlichkeit und Empathie. Denn durch diesen «Zwischenraum» geht man schliesslich zu zweit oder als Gruppe. Und es ist ziemlich schön, sich gegenseitig über die Hindernisse und unterschiedlichen Topographien dieses Zwischenraums zu helfen.
Falls ihr mal an ein Gegenüber geraten solltet, das partout keine Aftercare will und auch nicht auf eure Aftercare Bedürfnisse eingehen will – und ihr trotzdem unbedingt mit dieser Person spielen wollt: Aftercare kann man mit etwas Übung auch mit sich alleine machen. Scheint mir fast eine Frage der Disziplin zu sein, sich diesen Raum auch alleine zu nehmen. Vielleicht verabredet man sich mit einer guten Freundin zum Kuscheln, vielleicht ist ein Vertrauter bereit mit euch über eure Erlebnisse zu plaudern. Ich persönlich finde «Aftercare Verweigerung» nicht wirklich verantwortungsvoll und finde, wer zusammen den Spielraum betritt, verlässt ihn auch gemeinsam. Denn wie gesagt, das Spielen, das «macht was mit einem».
Die Reise im Zug von einer Stadt zur anderen; das Sitzenbleiben am Tisch nach dem Essen, mit Kaffee und Gesprächen; spüren, wie die Augen schwerer werden beim Einschlafen; das Leben ist voll mit genussvollen Momenten des «Dazwischens». Und Aftercare ist einer davon.