Die Weltgeschichte des BDSM Teil 1: Vor dem Jahre 0

, ,

Ja, tatsächlich, ich schreibe hier eine Weltgeschichte des BDSM.

Nicht in dem Sinne, als dass es eine zusammenhängende Tradition zwischen mesopotamischer Sexspiele zu heutigen Play-Parties gäbe, sondern mehr von sich losgelöste Zeugnisse von Spielpraktiken, die dem heutigen BDSM ähneln. Was man liest, hängt ja immer schaurig von der Brille ab, durch die man liest. Also heutige BDSM Praktiken einfach so in der Weltgeschichte zu suchen, verzerrt die Wahrheit ohne Zweifel enorm. Darum werde ich euch in einer Fussnote damit langweilen, «wie» ich das angegangen bin[1].

Zuerst möchte ich aber einen «Warnhinweis» geben, warum alles Folgende doch sehr mit Vorsicht zu geniessen ist und mehr eine Gedankenspielerei ist, als «Facts». Unser Verständnis von BDSM ist sehr klar definiert mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Praktiken, nämlich dem Konsens. Ja heisst bei uns Ja, und alle anderen Versionen haben im BDSM nichts verloren. Entsprechend ist fast alles, was weiter in der Vergangenheit liegt als die «Leathermen», nicht wirklich als konsensueller BDSM zu interpretieren. Um die ganze Sache fürs Gehirn noch etwas komplexer zu machen: Begriffe wie «freier Wille», «Privat»[[2]], «Liebe», «Sex» haben sich in den letzten dreitausend Jahren in ihrer Bedeutung konstant verändert, genauso wie gesellschaftliche Tabus, die bei uns Perversen ja oft sehr viel Lust auslösen. Begriffe wie «Konsens» oder «Fetisch» sind obendrauf vergleichsweise brandneu. Also stellt euch mal mein Kopfkratzen vor, als ich mich auf diese Reise gemacht habe in die Vergangenheit, was jetzt erwähnenswert ist und was nicht.

So, genug langweilige Vorbemerkungen, ab in die Zeitmaschine und zurück ins Jahr…

…40’000 vor unserer Zeitrechnung. Dass man aus Langeweile Zeugs an die Wand kritzelt ist tatsächlich so alt wie die Menschheit. Dass da auch Sex und Geschlechtsteile hingekritzelt wurden, ist keine Überraschung. Auf eine Besonderheit aber will ich hinweisen, nämlich auf den Arsch. Wenn wir von Kink reden, dann ist eine Grundbedingung, dass Sex mehr als nur Fortpflanzung ist. Das einfachste Beispiel neben Masturbation ist Analsex. Philosophisch betrachtet kann man durchaus sagen, dass Analsex der Ur-Kink schlechthin ist. Siehe da, neben Darstellungen von Schwänzen, Vulvas und Brüsten, finden sich auch immer wieder Ärsche – nicht aus anatomischer Korrektheit, sondern im Zusammenhang mit Sex. Geschweige denn explizite Poposex Kritzeleien.

…4000 vor unserer Zeitrechnung. An den Anfang. Und, haltet euch fest, zu einem der aller aller allerersten Zeugnisse von Schrift überhaupt. Siehe da, da geht’s um die “Königin der Himmel” und dabei um Sex und nicht einfach nur um Sex, sondern um ne ziemlich kinky Variante von Sex. Im alten Mesopotamien wurde Inanna (geschrieben 𒌋𒁯), auch genannt Ishtar, von den Sumerern verehrt, später auch von der akkadischen, babylonischen und assyrischen Kultur. Der Inanna Kult, der floss direkt in die griechische Göttin Aphrodite ein und die römische Venus (übrigens der Planet Venus war von Anfang an mit Inanna verknüpft) und erst mit dem Christentum etwa im Jahr 600 verschwand dieser Kult endgültig. Also kurz gesagt, eine der wichtigsten Gottheiten jemals überhaupt mit wahrscheinlich mehr als 4500 Jahren an Kult und Verehrung – und das alles verknüpft mit BDSM. Mind-blown Emoji. Denn: Ihr Kult involvierte nicht nur Männer die zu Frauen wurden, Analsex, Pornographie in Kuchenform und rituelle Sexarbeiterinnen, sondern explizit sexuelle Akte der freiwilligen Unterwerfung mit einer saftigen Portion SM. In ihrem Kult wird ein höheres Bewusstsein durch Schmerz und Lust erlangt. Männer unterwerfen sich der Göttin Inanna, verbeugen sich vor ihr, und werden während ihrem Tanz von ihr ausgepeitscht. Also nicht nur BDSM, sondern eindeutig Femdom. Inanna, die ihre eigene Vulva verehrt, eine der kulturhistorisch zentralsten Gottheiten überhaupt, kann wissenschaftlich bezeichnet werden als: Kinky as fuck. Das heisst, wenn wir es ganz genau nehmen, ist die erste uns bekannte Göttin der Liebe eine kinky Göttin, die ihre Sexualität kinky und mit fliessendem Gender auslebte – als Domina. Wenn ihr also beim nächsten Mal einer niedlichen Darstellung der Venus begegnet, wisst ihr, sie ist eine von uns. [[3]]

….3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung bei den alten Ägyptern, da gab es einiges an Perversionen. Angefangen beim Schöpfungsmythos: Denn das Universum wurde von Atum per Masturbation erschaffen. Why not. Etliche erotische Geschichten, pornographische Gemälde und Sex Toys sind überliefert aus jener Zeit. Insbesondere einige Texte um Cleopatra (die wiederum 3000 Jahre später lebte) können durchaus so interpretiert werden, als ob Femdom eine verbreitete Praxis war mit freiwilliger Unterwerfung als Zeichen der Liebe und Erotik.

…Ganz grob etwa 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung kommt der Striptease Kink rund um den Globus auf. Aus etlichen Zeugnissen von Korea über Indien, Mesopotamien bis Rom taucht immer wieder der erotische Tanz auf.

…500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Die Etrusker und die Griechen scheinen ebenfalls einen Hang zu BDSM gehabt zu haben. In schriftlichen Zeugnissen von Thimaeus, Theopompus und anderen findet sich beispielsweise die Beschreibung von selbstbestimmten Frauen, bei denen es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass sie sich beliebig viele Liebhaber:innen auswählen, sich öffentlich nackt zeigen und kräftig Orgien feiern. Homosexualität war alltägliche Normalität. Diverse Fresken und Texte zeugen davon. Und bei einigen Fresken in Gräbern finden sich tatsächlich klare Darstellungen von Flogging. Beispielsweise in Tarquinia gibt es das sogenannte «Grab der Flogger» (Tomba della fustigazione), wo unter anderem eine Frau in einem Dreier mit zwei Männern gezeigt wird, einer fickt sie von hinten, dem anderen lutscht sie den Schwanz, und beide bearbeiten ihren Rücken mit Floggern. Ich denke, wir können alle davon ausgehen, dass die Menschheit sich seit es sie gibt, in perversen Vergnügen geübt hat, heimlich oder öffentlich. Das ist dann aber doch nochmals ein anderes Kaliber, wenn es anscheinend total normal und sinnvoll war, sich in extrem teuren Gräbern mit extrem teuren Malereien mal eben n geilen, kinky Dreier an die Wand zu malen, das mindestens die damalige High Society gesehen haben muss.[[4]]

….um die Zeit herum, etwa 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung, gibt es noch weitere beeindruckende Zeugnisse, jetzt auch zum ersten Mal von Bondage im kinky Sinne. Nämlich in der pompejischen Villa der Geheimnisse. Ein Ort, an dem vermutlich ein Ritus des Erwachsen-Werdens gefeiert wurde, finden sich Bondage und Flogging Szenen, geschmückt mit Eros, dem kleinen Gott des Verliebens.[[5]] Die dort dargestellte Göttin mit Flügel und Peitsche könnte auch Aphrodite sein. Denn es gibt mehrere Statuen von ihr, bei denen sie mit irgendwas (inzwischen abgebrochenen) bewaffnet ist. Da sie in der Tradition von Inanna steht, ist es durchaus denkbar, dass sie oft mit Peitschen dargestellt wurde.

…rund 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung gab es die sogenannten Hetären. Das erste Zeugnis von Sapiosexualität. Das waren Sexarbeiterinnen, die nicht wegen ihrer sexuellen Dienstleistungen so begehrt waren, sondern wegen ihrem Intellekt und ihrer Bildung.


[1] Worauf stütze ich mich also? 1. Sex als Selbstzweck im heutigen Sinne ist zwar eine moderne Sache, kann aber in Variationen durch verschiedene Zeiten und Kulturen entdeckt werden – oder zumindest Indizien dahin. 2. Für SM ist es einfach: Sobald Schmerz mit Lust verknüpft wird, haben wir einen Hinweis. 3. D/s ist brutal schwierig. Sich mit freiem Willen in eine Unterwerfung geben ist ein super neues Konzept. D/s mit einseitiger Lust beim dominanten Teil widerspricht unserer Auffassung komplett, somit fällt schon vieles weg. Wenn das D/s Erlebnis auf die Grundgefühle runterbreche, was in einem «s» auslösen kann, wird das Feld etwas ergiebiger. Solche Grundgefühle können Hingabe, lustvolle Demütigung, Dienst etc. sein. 4. Bondage ist einfach: Sobald Fesseln und Restriktionen nicht zu Gefangenschaft, sondern für gegenseitige Lust benutzt wird, finden wir was. 5. Fetischisierung ist zwar ein sehr neues Konzept, aber das Prinzip taucht unter anderen Decknamen durch die Geschichte hindurch auf. 6. Selbstverständlich stütze ich mich auf die Arbeit anderer. Die Historikerin und Dominatrix (unter dem Pseudonym) Anne O. Nomis hat ein phänomenales «Standardwerk» zur Geschichte geschrieben, das entsprechend überallhin übernommen wird, inklusive Wikipedia.

[2] Falls sich jemand tatsächlich für kulturgeschichtliche Begriffsänderungen wie der Konzeption des «Privaten» interessieren sollte, dem empfehle ich das fünfbändige Werk von Aries «Die Geschichte des privaten Lebens»

[3] https://etcsl.orinst.ox.ac.uk/section1/tr113.htm

[4] http://www.mysteriousetruscans.com/theopompus/index.html

[5] http://www.art-and-archaeology.com/timelines/rome/empire/vm/villaofthemysteries.html

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner