In der archäologischen Literatur findet man Berichte über bronzene Dildos. Schaut sich ein:e Kinkster:in diese Funde aber an, ist uns sofort klar, dass das Plugs sind, keine Dildos. Und da sich der Anus seither nicht gross weiterentwickelt hat, sind die Plug Designs etwa die selben wie heute. Manche mit Ring, andere mit einer Basis – offensichtlich kannten sie schon damals das Problem der “verschwindenden” Plugs.
…300 Jahre nach unserer Zeitrechnung wurde auf dem indischen Subkontinent das Kama Sutra verfasst. Darin finden sich grossartige Beschreibungen zu Praktiken, die Schmerz und Lust verbinden mit Beissen, Haare reissen, schlagen und sogar den klaren Hinweis, dass das nur mit Leuten zu tun ist, die das auch geniessen und darin einwilligen. Wenn wir so tun würden, als ob die Dinge miteinander zusammenhängen, dann könnten wir sagen: da wurde Konsens erfunden. Als Konzept sozusagen.
…Im Jahr 700 etwa wurde in China das Buch Dongxuanzi veröffentlicht. Wie man sich leicht vorstellen kann, ist das Kama Sutra nicht das einzige… ähm… Kama Sutra dieser Welt. So finden sich im Dongxuanzi, das eben auch ein “Kama Sutra” ist, sprechende Stellungen wie “Zwei Fische nebeneinander”, “Verwickelte Mandarin Ente” oder “Fliegende Möwe”. Kinky wirds nicht, aber die gross angelegte Erziehung in Sex ist ja schon mal etwas.
…das christliche Mittelalter von etwa 500-1400 ist vermeintlich schwierig zu beurteilen. Mit der grossen Tabuisierung der Sexualität und den neu gehypten Erfindungen wie “kein Sex vor der Ehe”, dem Jungfräulichkeits-Quatsch, der Verknüpfung von Sex und Zeugung etc., wurde kinky Sexualität ins Abseits gerückt. Aber, wenn man genau hinschaut, findet man auch da wieder etliche Zeugnisse, verborgen hinter Codes. An dieser Stelle noch der Hinweis: Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber egal welche kulturellen Mäntelchen wir uns umlegen, Menschen sind und bleiben horny und auch damals gab es die Kinksters wie heute. Da gibt es zum Beispiel die Tradition der höfischen Liebeslieder, die uns einen Einblick geben, wie damals geflirtet wurde. Das war ziemlich D/s lastig: Die anbetende Person hat sich der Angebeteten unterworfen, sich gedemütigt, sämtliche Rechte an den verehrten Menschen überschrieben und von der verehrten Person Aufgaben erwartet. Beispielsweise die Lanzelot Geschichten aus jener Zeit sind Service-Sub-und-Femdom-Literatur ohne Ende.
…. Oder die Tradition der Flagellanten aus derselben Zeit, die sich selbst oder andere gefloggt haben. Klar, um Sünden wegzupeitschen, aber auch immer explizit um einen Zustand der Ekstase zu erlangen.
… Oder diverse Erzählungen, bei denen Unterwerfung und Selbstaufgabe zu Ekstase führt – siehe mehr oder weniger die meisten Ritter- und Heiligengeschichten aus jener Zeit.
… Und dann gibt es die Sache mit den Gemälden…. den Heiligen-Bildern. Da diverse Heilige zu Tode gefoltert wurden, gibt es auch die entsprechenden Darstellungen dazu. Manche mit Betonung auf Grausamkeit, andere mit Betonung auf Transzendenz, und dann gibt es da einfach auffallend viele Bilder, bei denen eine durchaus sexuelle Konnotation in die Darstellung reinkommt. Beispielsweise der gotische Altar der Heiligen Barbara aus Kalanti: Die nackt ausgezogene Barbara ist an einem Pfahl festgebunden, wird ausgepeitscht, ein Typ neben ihr begrabscht sie: Und sie lächelt. Natürlich wird das dann gerechtfertigt als Verzückung in Gott und so…. aber mal ehrlich: Leute waren kinky bevor die abendländisch-christliche Malerei ins Spiel kam. Jemand der das ganz anders sieht, würde jetzt sagen: “Totoro du Idiot, das bist jetzt einfach nur du als Perverser, der in diesen Darstellungen Perversionen sieht.” Nicht ganz…. schon damals gab es Leute, die all die kirchlichen Gemälde als viel zu sexy verschrien. Und wenn solche Gemälde der einzig erlaubte künstlerische Ausdruck ist, naja, wir Kinksters haben schon immer unsere Wege gefunden.
… Aus der Zeit gibt es auch die erste Überlierfungen von Pony-Play. Eine Geschichte des Mönches Johann Herolt, die von Aristoteles und der Frau von Alexander dem Grossen handelt, endet damit, dass Alexanders Frau auf Aristoteles wie auf einem Pferd reitet als Beweis seiner Liebe. Mit Zaumzeug und allem drum und dran.[1]
…Um etwas spezifischer zu werden im christlichen Mittelalter: Um das Jahr 1000 gab es die von Abaelardus aufgeschriebene Liebesgeschichte von ihm und Heloise. Er ein Theologe, sie eine Dame aus gutem Haus. Beide waren heiss aufeinander und haben unter dem Vorwand, miteinander Bücher zu studieren, fröhlich rumgevögelt. Und in diesen Sexbeschreibungen taucht plötzlich das Sich-Gegenseitig-Schlagen während dem Sex auf. Dass diese Sache konsensuell war, kann man aus den Liebesbriefen von Heloise lesen, die ihn viele Jahre später, als er schon kastriert und vertrieben wurde, noch als ihren «Meister» anredet, von ihrer Liebe spricht und Aufgaben von ihm erhalten will. Zur selben Zeit etwa lebte auch Guibert von Nogerit. Ein Mönch, der die Schläge seines Meisters als einen Akt der Liebe beschreibt.
…Etwa im Jahr 1000 wurde die Tempelanlage von Khajuraho in Indien errichtet. Geschmückt von hunderten sexuellen Darstellungen. Warum? Das ist nicht überliefert. Aber die haben Sex da offensichtlich ordentlich abgefeiert, in allen Stellungen und Kombinationen. Alle Säulen übersäht davon, sogar auf den Seiten, die man gar nicht sehen kann. Wenn Sexualität so heftig abgefeiert ist, ist Kink unweigerlich nicht weit weg.
… Und wer jetzt gerne von mir lesen würde, wie im japanischen Mittelalter Samurai in einem strengen Dojo die geheime Art des sexy Shibari praktiziert haben, die Verweise ich gerne weiter an die legendäre Midori mit diesen zwei englischen Blogs in der Fussnote. Und Achtung: Eure romantische Shibari Vorstellung wird zerstört werden.
[1] Dr. Eleanor Janega, ihr Blog going-medieval.com, ihre Bücher, bishuk.com, ach einfach grossartig
[2] https://zippermagazine.com/bdsm-in-japan/ https://spectrumboutique.com/journal/article/the-history-myths-of-japanese-bondage/