Die geläufige Unterscheidung von Kink und Fetisch geht so: Kink beschreibt irgendeine sexuelle Praktik, die nicht der angenommenen gesellschaftlichen Norm oder Erwartung entspricht – wie zum Beispiel Shibari. Fetisch meint die sexuelle Erregung durch ein Objekt oder ein Körperteil, das nicht geläufig als sexy angeschaut wird – wie zum Beispiel Blumentöpfe oder Ellbogen. Hinzu kommt, dass Fetischismus lange als Krankheit angeschaut wurde. In dem bis vor kurzen gültigen Standardwerk für psychische Krankheiten1 steht, dass dann eine Störung vorliegt, «wenn der Fetisch die wichtigste Quelle sexueller Erregung darstellt oder für die sexuelle Befriedigung unerlässlich ist.» Sprich, ohne den Blumentopf oder den Ellbogen läuft nichts. Die Neuauflage dieses Standardwerks hat das dann glücklicherweise 2022 abgeschafft – zusammen mit Sadomasochismus als psychischer Störung.
Dem Thema will ich mich nähern zuerst mit einem Blick darauf, woher die Wörter eigentlich kommen, dann wie sie im Alltag verwendet werden und zuletzt, was den Unterschied von Kink und Fetisch eigentlich ausmacht.
Mit dem Wort «Kink» haben wir einen englischen Begriff, der eigentlich eine Unebenheit, eine Schwachstelle, eine Macke beschreibt. «It still has a few kinks» würde man sagen, wenn man ein selbstfahrendes Auto entwickelt, dass zwar meistens ziemlich gut fährt, aber ab und zu noch in Blumentöpfe knallt. Ursprünglich kommt es aus der holländischen Seefahrt, die das Wort aus dem Altisländischen «kikna» geborgt hat, und als kinky wurden verdrehte Seile bezeichnet – was alle Seilbegeisterte jetzt sicher schaurig lustig finden. In unserem bekannten Sinne tauchte Kink im 20. Jahrhundert in der Literatur auf, entsprechend kann man davon ausgehen, dass es wohl bereits im 19ten auf Sex bezogen wurde.
Die lateinischen Wortwurzeln von «Fetisch» bezeichnen einfach etwas Menschengemachtes. Das hat sich im Mittelalter dann verändert zu etwas, dem magische Kräfte inhärent sind. Mit der Kolonialisierung wurde Fetischismus zu einem objektbezogenen Aberglauben umdefiniert, und zwar abwertend gemeint. In ihrer sehr von sich selbst ausgehenden, und dadurch beschränkten Sicht auf die Dinge, haben Europäer beobachtet wie Menschen auf anderen Kontinenten ein Talisman, einen Baum, ein Tier angebetet, ihm magische Kräfte zugeschrieben haben und das dann Fetisch genannt. 1897 dann wurde das Wort zum ersten Mal im sexuellen Sinne in der Literatur belegt. Um die Zeit herum waren die frühen Psychiatrien gross im Kommen. Eine bekannte «Fetischisten Zählung» in einer Psychiatrie ergab 48 Patienten mit dieser Diagnose, 47 davon männlich, 122 verschiedene Fetische wurden notiert und nur 17 Patienten gaben an, lediglich einen Fetisch zu haben, die anderen zwei bis neun.2
Soviel mal zu den Hintergründen dieser beiden Begriffe. Wie werden sie im Alltag eingesetzt?
Toll am Wort «kinky» ist, dass es sich zu einem empowernden Begriff verwandelt hat. Wir bezeichnen uns gerne und mit stolz als Perverse oder als Kinksters. Zudem ist die Aussage «oh, das ist ja so kinky» eher positiv konnotiert. Am Kopf kratzen lässt mich da die Abgrenzung zu Vanilla. Obwohl es manchmal ganz gesund ist, eine Abgrenzung zu machen, frage ich mich dann doch: Ja was ist denn eigentlich rein vanilla. Je nach Kontext ist schon Doggystyle Sex ausserhalb der «Norm», und umgekehrt kann die Missionarsstellung höllisch kinky sein. Durch 50 Shades und Pornografie hat sich Haare reissen, mal mit Handschellen spielen oder Spanking anscheinend im «normalen» Sexleben sehr verbreitet. Darum kann ich mehr damit anfangen, «kinky» als eine stolze Selbstidentifikation zu verstehen, als eine trennscharfe Abgrenzung von ungewöhnlicher zu gewöhnlicher Sexualität. Dieses Referenzieren auf eine Norm riecht nach Fiktion und ist in Realität von Mensch zu Mensch anders. So kann jemand Seile super kinky finden, aber an den Haaren reissen beim Sex total normal, und umgekehrt. Klar, in der Kommunikation ist das praktisch «kinky» im Sinne von «nicht vanilla» zu benutzen – aber das hat wohl nur Gültigkeit für die Person, die das zu dem Zeitpunkt und in dem Kontext so ausspricht.
Ein kurzer Einschub: Wenn wir über Fetisch reden, möchte ich irgendwelche psychische Störungen aussen vor lassen. Eine psychische Störung liegt gemäss dem ICD-11 dann vor, wenn eine zwanghafte Fixierung den Betroffenen im Alltag Leid und Hindernisse bringt. Egal ob sich das auf ein Objekt, eine Handlung oder auch Sex im Allgemein bezieht. Dieser Zwang hat mit Fetisch nichts weiter zu tun und es ist ein grosser Fortschritt, dass das auch die zeitgenössische Psychiatrie in ihrem neuen Standardwerk, dem ICD-113, anerkannt hat.
Im alltäglichen Sprachgebrauch ist es gängig, Fetisch auf Objekte und Materialien oder unerwartete Körperteile zu beziehen. Man sagt, jemand habe einen Fussfetisch, aber nicht einen Fusskink. Jemand in Latex gehüllt, wird rasch als Fetischist*in gelesen, jemand mit einem Flogger in der Hand aber eher als kinky – und jemand der jemanden auf den Hintern schaut als normal. In allen Fällen reden wir aber von etwas, das anturnt – sei es die Tätigkeit des Floggens, die Materialität des Latex oder die Form des Hinterns. Es scheint mir eine sehr begrenzte Sicht auf Sexualität zu sein, wenn man Erregung durch Objekte oder durch “nicht als gemeinhin sexy angeschaute” Körperteile als was besonderes einrahmen will. Schliesst man damit nicht einfach von sich auf andere?
Mal auf die Körperteile bezogen: Ist der gesellschaftliche Konsens, dass ein Hintern anturnend ist, nicht etwas willkürlich? Diese biologistischen Thesen, dass die Grösse der primären und sekundären Geschlechtsorgane Menschen rein biologisch anturnen, weil es Indizien für eine gute Fortpflanzung sind, sind schon längst über Bord geworfen – Sexualität ist viel komplexer. Zudem sind in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten Haare, Arme, Knöchel oder Waden das “Ding” und nicht Hintern. Können Hände, ein Blick, ein Geruch, ein Geräusch nicht genauso anturnend sein? Und ist es nicht ganz offensichtlich für jeden Menschen anders und die Konstruktion einer «Norm» etwas holprig?
Und wenn wir es auf Objekte, Materialien, Texturen und Farben beziehen, komme ich auch nicht wirklich weiter. Mir fehlt die Begründung, warum Latex als Fetisch gelten soll, ein Spitzen-BH aber nicht. Intuitiv ist der Unterschied offensichtlich, aber beim darüber nachdenken verflüchtigt sich das rasch.
Oft geht man auch davon aus, dass der Fetisch eine unausweichliche Macht über den Menschen hat. Es wird so geredet, als ob der Fetisch für eine Fetischistin etwa so ist, wie Sonnenlicht für einen Vampir: Wenn das Fetisch-Objekt in der Nähe ist, muss die Fetischistin zwangsläufig jedes mal zuckend zusammenbrechen und vor Lust zergehen. Kann natürlich, muss aber nicht. Als ob Hetero-Frauen von jedem beliebigen Männerpopo hilflos angeturnt wären.
Eine weitere Vorstellung ist, dass ein Fetisch immer singulär ist und unabdingbar für Sex. Er hat einen Fussfetisch, ergo läuft nichts ohne Füsse. Die meisten Fetischist*innen, die sich als solche bezeichnen, stehen auf mehr als nur eine Sache und viele geniessen ihre Sexualität auch ohne dieses eine magische Etwas.
Was macht den Unterschied zu Kink jetzt wirklich aus? Dass sich Fetisch auf ein Objekt bezieht? Und Kink auf Handlungen? Viel Spass, wenn jemand mit dieser Annahme mit uns Fetischist*innen diskutieren will. Wie unerwartet und mächtig erregend eine ansonsten nicht sexuell aufgeladene Situation, Ort, Handlung, Berührung, Sprache sein kann, haben vermutlich fast alle schon mal erlebt. Davon jetzt Objekte, Texturen, Farben, Materialien oder bestimmte Körperteile ausschliessen und eine separate Kategorie dafür machen? Scheint das nicht etwas willkürlich zu sein? Oder soll es die Dringlichkeit sein? In Abgrenzung zum Wort Fetisch wird es sehr schwammig, wenn wir über Vorlieben und Turn-Ons reden und einander fragen «Was hast du denn für Kinks». Es scheint, als ob auf der Dringlichkeitsskala eine Vorliebe höher steht, wenn sie als Fetisch und nicht als Kink bezeichnet wird. Aber stimmt das wirklich? Gibt es nicht Menschen, die ohne eine Machtdynamik nicht viel mit Sex anfangen können und die werden dann trotzdem nicht als Fetischist*innen bezeichnet, obwohl das Thema Machtdynamik eine hohe Dringlichkeit hat? Ist so jemand weniger gestört als jemand, der tolle Schuhe oder einen knackigen Hintern braucht zum Spass haben?
Zusammengefasst: Dass Fetisch sich abgrenzt, indem es auf Materialien oder unerwartete Körperteile bezogen wird, scheint mir nicht standzuhalten. Dass Fetisch eine grössere Dringlichkeit hat als ein Kink, ebenso wenig. Dass Fetisch die “eine Sache ist” ohne die nichts geht, kann sein, muss aber nicht und passiert umgekehrt auch bei Dingen, die nicht als Fetisch bezeichnet werden. Was in all diesen Versuchen einer Definition und Abgrenzung aber auffällt, ist dass beim Wort “Fetisch” immer wieder der unbegründete Beigeschmack von was “Abnormalem” mitspielt. Fetisch auf Sexualität bezogen ist eine Erfindung der frühen Psychiatrie. Das kommt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und hat in der heutigen Praxis und Lehre der Psychiatrie keine Relevanz mehr. Nichtsdestotrotz kommt genau aus diesen längst überholten Werken der gängige Sprachgebrauch, der Fetisch als etwas übermächtiges und abnormales verstehen will. In diesen alten Werken wurde auch davon geredet, dass Fetischist*innen nicht fähig sind, ihre Sexualität “normal” zu leben oder auch nicht in der Lage sind zu lieben, weil die Objektfixierung ihnen im Weg stünde. Das sind Sätze, in denen sich Fetischist*innen nicht wiederfinden. Die Konsequenz aus diesem stigmatisierenden Sprachgebrauch ist, dass es einem den Alltag manchmal ganz schön schwer machen kann. Es ist für viele schwieriger, einem neuen Gegenüber den Satz zu sagen “Ich habe einen XYZ-Fetisch”, als zu sagen “ich stehe auf XYZ.” Es kann einem schwer fallen, einer Ärzt*in gegenüber von einem Fetisch zu reden, aus Angst, als krank abgestempelt zu werden und dann vielleicht gar nicht die Behandlung zu kriegen, die man eigentlich bräuchte. Mir drängt sich daraus der Verdacht auf, dass nicht ein Fetisch problematisch ist, sondern der althergebrachte Sprachgebrauch der damit verknüpft ist.
Gleichzeitig wird im Alltag etwas anderes als nicht «besonders» angeschaut, was aber recht problematisch ist: Die Fetischisierung ohne Konsens. Ohne Zustimmung sein Gegenüber aufgrund von irgendeinem Merkmal zu fetischisieren, sei es Haut- oder Haarfarbe, Grösse, Geschlecht, Erfahrung, Alter, Herkunft oder anderes, birgt ein sehr zerstörerischen Potential in sich, wenn das Gegenüber dem weder zustimmt noch Freude daran hat, auf ein Merkmal reduziert zu werden – sei es generell oder für eine Session.4 Egal, ob das Statement “ich stehe auf dich, weil ich stehe nur auf asiatische Frauen” als Fetisch verstanden wird oder nicht.
Die Sprache über BDSM war lange Zeit von der frühen und leider sehr fehleranfälligen Psychiatrie geprägt und diese Auswirkungen spüren wir bis heute, allzu oft an eine anerzogene moralische Wertung geknüpft. Da sehe ich den eigentlichen Unterschied von Kink und Fetisch – der eine Begriff schleppt eine Geschichte der Pathologisierung mit sich, der andere nicht. Wenn wir diesen ganzen alten Psychiatrie-Zopf zum Thema aber abschneiden, bleibt nur Tolles übrig: Nämlich dass wir unsere Lust kennen und kommunizieren können und uns mit dem Begriff Fetisch abfeiern.
Eine empfehlenswerte Masterarbeit, die einen ähnlichen Aspekt des Themas angeht, findet ihr bei Interesse hier: https://www.academia.edu/39632983/Fetish_Identity_A_Collaborative_Auto_phenomenographic_Approach_to_Reframe_Sexual_Fetishism
1ICD-10 F65.0
2https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/6860882/
3https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http://id.who.int/icd/entity/2055403635
4https://www.dropbox.com/s/n5df3h6g0qacho1/Erickson%2C%20Slayton%2C%20Petersen%2C%20Hyams%2C%20Howard%2C%20Sharp%2C%20%26%20Sagarin%20%282021%20OnlineFirst%29.pdf?dl=0