Gerade in der kalten Jahreszeit, wenn sich Nebelschwaden auf die Landschaft legen und es im Kamin knistert, passt das wunderbar, sich ein paar Märchen zu BDSM zu erzählen… Wir machen hier genau das Gegenteil. Wir laubbläsern den Quatsch weg, verorten und entblössen ein paar hartnäckige Mythen die sich zu BDSM, zumindest in unserer Gesellschaft, aber auch manchmal in versteckten Zimmern unserer Köpfe halten.
Mythos #1: «Männer, die in verantwortungsvollen, gut bezahlten Jobs sind, lassen sich gerne dominieren als Ausgleich.» Der Genuss Verantwortung abzugeben, nicht entscheiden zu müssen, gewisse Regionen im Gehirn abschalten zu dürfen, ist für viele Menschen, die in einem Spiel subben, eine Motivation genau das zu tun. Die Verbindung zu wohlhabenden, erfolgreichen Männern hat aber einen anderen Hintergrund. Seit es die Menschheit gibt, gibt es BDSM. Die uns bekannte Professionalisierung und Spezialisierung im Sexgewerbe zur Domina ist in der heut bekannten Form aber nur ein paar hundert Jahre alt. Und da haben wir auch schon aufgedeckt woher dieser Mythos kommt: Die Preise für eine Session bei einer Domina waren schon damals höher, als für eine halbe Stunde mit einer «gewöhnlichen» Sexarbeiterin (dazu gibt es toll dokumentierte Gerichtsakten). Darum muss man die Überlegung einbeziehen, welche Männer, die gerne subben, sich das überhaupt leisten konnten in einem solchen Setting. Entsprechend wurden auch das die publik gemachten Fälle, wenn der Bürgermeister bei der Domina “erwischt” wurde und so hat sich der Mythos in den Köpfen verbreitet, weil normale Büezer nicht in die Presse kamen mit ihrem Dominabesuch.. Würde man aber heute wie auch damals eine repräsentative Umfrage starten bei Männern in einer gewissen Lohnklasse, dann wird nicht das Resultat dabei raus kommen, dass ein verantwortungsvoller Job sich mit dem Bedürfnis nach sexueller Unterwerfung deckt.
Mythos #2: «Wer BDSM betreibt, hat in der Kindheit was Übles erlebt und ist psychisch krank.» Die neuere Geschichte des BDSM ist schaurig nahe verknüpft mit der Geschichte der Psychiatrie, einfach weil auch all die Psychoanalytiker nur Menschen sind und fasziniert waren von Sex – dem den sie haben und dem den sie gerne hätten. Wegen vielen Theorien, die aus einer sehr moralisch geprägten und empathiefreien Sichtweise geschrieben wurden, hat das eine richtig lange, eingefleischte Tradition Sexualität und psychische Störungen miteinander zu verknüpfen. Freud und die Theorie des Penisneids ist ein bekanntes Beispiel dafür, wie abstrus frühe Werke zu Psychonanalyse und verwandten Gebieten sein konnten. Schaut man sich aber repräsentative Studien an, hält sich das nicht.1 Ob jemand aus seiner Kindheit unverarbeitete Traumas mit sich trägt oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, ob dieser Mensch im Erwachsenenalter auf BDSM steht oder nicht. Das geht sogar noch weiter: Studien haben gezeigt, dass BDSMler im Alltag nicht nur glücklicher sind, sondern sogar auch psychisch «solider» und besser mit all dem umgehen können, was einem das Leben so anwirft2. Gerade letztes Jahr kam eine Arbeit raus, die nachgewiesen hat, dass Menschen, die im BDSM Kontext gerne sadistisch sind (sprich Sadismus in einem einvernehmlichen Verhältnis), in ihrem sonstigen Leben bedeutend seltener sadistisch sich verhalten sondern empathischer sind.3
Mythos #3: «Feministin sein und Sub zu einem Mann sein, geht nicht.» Die tolle Simone de Beauvoir hat «Soll man de Sade verbrennen» geschrieben, ein Buch, zu dem sie selbst im Alter aber ein gespaltenes Verhältnis entwickelt hat. Es gibt in der vielfältigen Geschichte des Feminismus tatsächlich immer wieder Schriften und Statements gegen BDSM. Genauso oft, und das wird dann nicht erwähnt, Schriften für BDSM und für eine selbstbestimmte Sexualität. Während früher noch oft betont wurde «Wir kämpfen gegen eine patriarchalische Gesellschaft und dann reproduziert eine Frau im Schlafzimmer oder vor der Kamera auf extreme Weise das, wogegen wir ankämpfen?», hat sich diese Betonung gewandelt zu einem «Wir kämpfen gegen eine patriarchalische Gesellschaft und Frauen sollen selbstbestimmt ihre Sexualität ausleben dürfen, was auch immer das in einem einvernehmlichen Verhältnis bedeutet». Wer sich jemandem in einem Spielsetting unterwirft, will damit nicht die Aussage machen, dass das «der natürliche Platz der Frau» ist oder dass Männer mehr verdienen sollen. Sondern, dass in diesem spezifischen Setting die Unterwerfung zu diesem spezifischen Gegenüber toll ist. Mir als Mann ist es unwohl, zu diesem Thema zu schreiben. Ich möchte als Kinkster quasi nicht einfach nur die Aussagen betonen, die mir gefallen und möchte als Verfechter des Feminismus auch nicht das beschriebene Unbehagen an einem solchen D/s Setting verschweigen. Darum verweise ich für Interessierte auf die tollen Autor*innen Roxane Gay und Meg-John Barker.
Mythos #4: «Marquis de Sade, da er auch Namensgeber ist, hat SM erfunden – beim Kaffeeplausch mit dem Herrn Sacher Masoch.» BDSM ist viel älter und hat über die Jahrtausende verschiedene Namen gehabt, aber anscheinend gab es über lange Zeit nicht das Bedürfnis, SM spezifisch und genau zu umschreiben. Das kam erst auf, als die Psychiatrie und Psychoanalyse sich verbreitet hat. De Sade und Sacher Masoch waren dann einfach per Zufall die Autoren, die zu dieser Zeit einen grossen Einfluss auf den Diskurs dieser beiden Enden des Spektrums hatten. Sie waren Teil der damaligen verbotenen Popkultur sozusagen. That’s all. Und in wenigen Jahrzehnten hat sich SM gegenüber anderen Begriffen durchgesetzt. Da muss man vielleicht noch nachschieben, dass die beiden sich nicht kannten, weil sie einen Altersunterschied von hundert Jahren haben, und sich frühestens in der Hölle getroffen haben – vermutlich nicht zum Kaffeeplausch.
Mythos #5: «Wer mit Age-Regression spielt, ist eigentlich pädophil.» Im Kink spielen wir gerne mit Tabus, mit dem Übernehmen und Abgeben von Verantwortung. Das schöne daran ist, dass ein Gegenüber eben diese Verantwortung willentlich abgeben möchte. Dieser Konsens steht dadurch im Gegensatz zu diesem Mythos. Jemand, der gar nicht entscheiden kann oder etwas nicht will, kann keinen Konsens geben. Mit diesem Mythos werden sozusagen Äpfel mit Birnen verglichen, oder eher Äpfel mit Kleiderbügeln. Dieser Mythos lässt sich vielleicht mit spitzigen Gegenfragen entkräften: Heisst das, dass wer auf Ponyplay steht, eigentlich Pferde begehrt? Heisst das, dass wer sich gern floggen lässt, gerne im Alltag auf Legosteine tritt? Wer sich gern die Augen verbinden lässt, lieber blind wäre? Wer Humiliation mag, sich gerne im Tram beschimpfen lässt? Wer Vibratoren toll findet, mehr Erdbeben will? Wer Bondage mag, in den Knast will? Wer Sex mag, mit jedem und jeder ins Bett will? Mit CNC, Watersports, Medicalplay könnte ich jetzt noch doofere Gegenfragen stellen. Was zwei oder mehr erwachsene Leute einvernehmlich tun als Sex, als Spiel, als Rollenspiel, ist nichts anderes als genau das. Den Konsens aus diesem Setting herauszunehmen und die Lust an einer spezifischen Situation auf völlig fremde Situationen anzuwenden, ist absurd.
So, fertig gelaubbläsert. Ich geh jetzt Legosteine wegräumen.
1 https://www.jsm.jsexmed.org/article/S1743-6095(15)30447-1/fulltext
2 https://www.dropbox.com/s/l8ep7ws8v1a1nbx/Erickson%20%26%20Sagarin%20%282021%20OnlineFirst%29.pdf?dl=0
3 Connolly, P. H. (2006). Psychological functioning of bondage/domination/sado-masochism (BDSM) practitioners. Journal of Psychology and Human Sexuality, 18, 79-120.